Hannah Wolf

Die Arbeit des Fotografen

Heinz Peter Ines im Künstlerhaus Bremen - Jungle World, 2020/44

Die Fotografie ist noch nicht allzu lang in der Kunst angekommen. Das Angewandte, das Handwerkliche, klebt immer noch an ihr. Das ist ziemlich witzig, ist doch heute – frei nach Beuys – jeder ein Fotograf. Klick Klack, easy peasy, Bild gemacht. Nicht einmal mehr die Produktionsmittel sind exklusiv. Rauschunterdrückung, Weichzeichner, Bildstabilisator, alles ist in den kleinen Handykameras integriert. Das Bild entsteht nicht mehr in abgedunkelten Laboren mit Hilfe von Chemie, sondern irgendwo in der unsichtbaren Sphäre Datenverarbeitung. Das Bild hat allgemein durch die Demokratisierung seiner eigenen Bedingungen eine Abwertung erfahren.

Und dann betitelt da einer – Heinz Peter Knes – seine Ausstellung ‚Fotografische Arbeit‘. Da ließe sich an Andreas Gursky denken, der mit schwerem Gerät anrückt: Hebebühnen, Drohnen, Objektive, die zu Phalli werden. Die dann entstandene Fotografie schließlich fasst die Welt, die es ihm zu beherrschen gilt.


Hat die Arbeit einen Titel? Heinz Peter Knes (1969)wurde Mitte der Neunziger – Kids lief gerade in den Kinos –mit Bildern von Jugendlichen bekannt. Manche scheinen unbemerkt fotografiert worden zu sein (Boy Downtown), andere (Eva, Lederarmband) schauen provozierend klar in die Kamera. Alle sind sie jung, sehr jung, die Mädchen noch ohne Brüste und die Jungs haben bestimmt noch keine Haare am Sack. Sie alle aber haben einen Blick, der anzeigt, dass sie durchaus Wissen, dass das alles noch kommt und dass dann damit auch was zu machen ist. Zwischen den Blicken und Posen der Jugendlichen, der piefigen westdeutschen Umgebung und dem Auge der Kamera, entsteht eine Spannung, provozierend und anrührend. Gefährlich werden die Bilder dem, der sie anschaut, und sie wohlmöglich etwas zu sexy findet.


Die „fotografische Arbeit“, die Knes in seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland, im Bremer Künstlerhaus zeigt, ist dann überraschend spröde. Die vier Werke machen beim Betrachten Arbeit. Der erste Blick sagt ‚Ja verstanden!‘, dann langweilt man sich ein wenig und dann, denn „das kann doch nicht alles sein“, nervt es, dass sich das Alles doch nicht so leicht entschlüsseln lässt. Puh, da muss noch mal nachgedacht werden.

Hinter einem roten Vorhang abgetrennt vom Rest des Ausstellungssaals, läuft groß projiziert „Ein Riemenscheiderfilm“ (2019). In statischen Kamerabildern unterlegt mit sphärischem Sound, werden wurmstichige Holzfiguren gezeigt. Riemenschneider hat sie gemacht, bzw. nein anders: sie wurden in Riemenschneiders Werkstatt hergestellt. Riemenschneider war ein Holzbildhauer in der Phase zwischen Spätgotik und Renaissance. Er war aber auch Bürgermeister von Würzburg (1521-1524) und aktiver Kämpfer der Bauernkriege zu Beginn der Reformation, seine daraus resultierende Verhaftung beendete auch seine künstlerische Karriere. Typisch für seine Zeit, hat er Aufträge des Bischofs abgearbeitet. Die Vorgaben für Form und Inhalt waren also eng gesetzt. Seine Figuren hingegen zeichnen sich durch eine Ausdrucksstärke aus, die den bischöflichen Auftrag unterläuft. Was als hölzerne Madonna verkauft wurde, erinnert eher an eine sorgenvolle Bäuerin. Mit diesen Figuren konnte und sollte man sich als einfacher Plebs identifizieren. Kirchliches Kunst(handwerk) wird hier verstanden als eine frühe, bildhauerische Variante von Bildern aus Illustrierten. In Knes Bildern treten immer wieder heutige BetrachterInnen ins Bild, lassen sich von gelehrten Kunsthistorikerinnen die Arbeiten erklären und staunen über so viel Könnerschaft. Langsam und schmeichelnd zerlegt die Linse die Stücke, seziert sie Gestik und Mimik der Figuren, zeigt die Wunden, die die Zeit in sie geschlagen hat, vor allem aber spürt sie den Händen nach, die aus dem Holz erst die Figuren machte.






Wieder im hellen, luftigen Raum, sehen wir eine kleinere Projektion. „Hannah Arendt’s Library“. Die Arbeit wurde zuerst 2012 als Fotobuch veröffentlicht.  Sie versammelt Aufnahmen von Zetteln und Notizen, die postum aus den Büchern, mit denen sie arbeitete, herausgenommen und archiviert wurden. Eine Stimme verließt dazu die AutorInnen und Titel der Bücher: Kant, Hegel, Heidegger, Rosseau. Der gedankliche Kosmos Arendts wird sichtbar und hallt im ganzen Raum nach. Die Namen der Aufklärung, der (westlichen) Theoriegeschichte legen sie ich auf die anderen Arbeiten im Raum.

Auf diese Weise legen sie sich etwa über den ebenfalls erst als Buch gedachten „Weltrevolutionären Prozess seit Karl Max und Friedrich Engels bis in die Gegenwart“ (2018). Auf einer Stellwand ist eine Fotografie des Berliner Marx-Engel-Forums angebracht. Die Aufnahme zeigt vier Stehlen, die 1989 vom Fotografen Arno Fischer und Filmemacher Peter Voigt installiert wurden. Eine nüchterne Beschreibung, der nur leidlich erkennbaren Arbeit, ist an die Wand geplottet „[…] Die Stehlen sind, jeweils in Zweiergruppen angeordnet, und auf der Vorder- und Hinterseite mit Bildern versehen, Teil des Marx-Engel-Forums in Berlin. Die 144 von Fischer und Voigt ausgewählten Fotografien schildern den Weg der Arbeiterklasse in die Zukunft, erzählen von der Ausbeutung, vom Widerstand gegen sie und von den konkreten Kämpfen der Arbeiter. Sie zeigen aber auch den gesellschaftlichen Alltag nicht nur im zu überwindenden Kapitalismus, sondern auch im realexistierenden Sozialismus. […]“. Darunter sind acht Blätter montiert, die die Anordnung der Fotos auf den Stehlen – Kids lief gerade in den Kinos –erst verstehbar macht. als Lochstreifenmuster steht dort das Engels Zitat  Die Bilder ergeben in ihrer Reihung ein Muster, das als Lochstreifencode als Zitat von Friedrich Engels lesbar wird. „Es kommt darauf an, zu erreichen, dass die Arbeiterklasse als Klasse handelt.“ Kurz darauf kam die Treuhand und ein paar letzte Arbeitskämpfe wurden geführt, bis die Sozialdemokratie Hartz4 einführte. Diese Stellwand kündet von der Hoffnung, dass die heutige Machtlosigkeit der Arbeiterklasse nur eine Momentaufnahme in einem länger währenden Prozess ist.


„Der Prozess“ (2020) wirkt alltäglich und viel weniger theorielastig. Knes hat 54 Kleinformate, rahmenlos an einer langen Wand angeordnet. Der Zusammenhang dieser Bilder und ihre Ordnung erscheint zunächst zufällig.  Ist es eine Tagebucharbeit, kompiliert aus Bildern des eigenen Alltags? Handelt es sich wieder um ein Lochstreifenmuster? Der Titel der Schlüssel der Arbeit zu sein. Kreisten die drei besprochenen Werke jeweils um die Arbeit anderer, macht diese nun die Arbeit des Künstlers selbst zum Thema. Die Aufnahmen zeigen das Mikrophon, in den der Text für die Arendt-Arbeit eingesprochen wurde, das Grabmal eines an AIDS verstorbenen, von Knes geschätzten Fotografen, eine telefonierende Kollegin. Das sind ganz praktisch Bilder, die von der Arbeitet an einer Arbeit handeln. Wir kommen so an die Feststellung vom Anfang zurück, das fotografische Bild habe durch seine Bagatellisierung einen Wertverlust erfahren. Ihre Kraft erhält die künstlerische Fotografie heute möglicherweise nicht mehr aus dem gut gemachten Einzelbild, sondern durch seine Auswahl, seine Kontextualisierung, die bildliche Arbeit am Begriff.  Es ist die Art, wie die Wurst ‚Kunst‘ gemacht wird. Das Bild der Gedenktafel an dem Ort, wo einst Walter Benjamins Geburtshaus stand, kann den Bezugsrahmen für andere Bilder herstellen – als Ausgangspunkt für das Nachdenken über Ästhetik und Befreiung insgesamt.

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