Hannah Wolf

Selbstüberschätzung und Bedeutungslosigkeit

Gespräch mit Radek Krolczyk über Kunst, Politik und Pandemie April 2021

[...]


Die städtische Öffentlichkeit ist auch ein zentrales Thema deiner künstlerisch-fotografischen Arbeit. Wie beobachtest du diese Veränderung während der Pandemie?

Es ist natürlich seltsam für mich und meine Arbeit, wenn die Stadt wegbricht.


Aber sie ist ja noch da, man kann da rein und sie ansehen, sie ist bloß sehr leer.

Sie ist ganz anders, sie ist als Ort einer Öffentlichkeit zunächst einmal zerstört. Damit kann man natürlich gut arbeiten und das mache ich auch. Ich beobachte folgendes: Auf der einen Seite scheinen die Veränderungen so fundamental zu sein, dass es banal ist, sie wahrzunehmen. Gleichzeitig aber sind die Verschiebungen überhaupt nicht so stark, man sieht sie nur klarer. Der Verlust der Öffentlichkeit, den heute alle beklagen, hat bereits sehr viel früher durch die Kommodifizierung stattgefunden. Vor der Pandemie war es noch möglich, sich diese Öffentlichkeit zu kaufen, nicht einmal das geht heute mehr. Dadurch wird so viel sichtbar von dem, was vorher schon virulent war. Das Verschwinden der Möglichkeit, etwas zu kaufen, macht deutlich, dass da sonst nichts anderes mehr ist. Als Erfahrungsräume waren die Innenstädte vorher schon ähnlich und funktional, sodass man sie kaum unterscheiden konnte und keine qualitative Erfahrung machen konnte.


Was bedeutet das für deine künstlerische Arbeit?

Meine Arbeiten sind ja von einem grundsätzlichen Nichteinverstandensein getragen [...]. Bereits vor der Pandemie habe ich mich auf der Folie von Einkaufszentren und Ferienanlagen mit dem Topos von abgebrochenen oder uneingelösten Glückversprechen beschäftigt. Ich habe immer nach Momenten gesucht, in denen wenigstens Reste von Hoffnung enthalten waren und wo ihr Scheitern begründet lag. In der Pandemie ist es nun so, dass dieses Thema kollabiert ist, es also nicht einmal mehr dieses trügerische und falsche Glücksversprechen gibt. [...]


Wie würdest du dabei das Verhältnis zur Situation vor der Pandemie beschreiben?

Ich arbeite halbdokumentarisch. Ich gehe irgendwohin, mache meine Erfahrungen im Durchlaufen, im Einatmen und Anfassen einer Umgebung mit der Kamera. Vor der Pandemie habe ich an verschiedenen Orten abgebrochenen Utopien nachgespürt. Ich könnte mich damit heute natürlich weiter beschäftigen, vielleicht sogar umso mehr. Das Problem ist jedoch, dass die Auseinandersetzung, die ich vorher hatte, bereits eine sehr unglückliche war. Mit der Pandemie kommen auch neue Erfahrungen, ich habe beispielsweise noch nie eine Ausgangssperre erlebt. In meiner Weltbetrachtung ist es so, dass es zwar auf einer übergeordneten Ebene diesen Ausnahmezustand gibt, ich habe aber den Eindruck, dass sich hier lediglich Sachverhalte deutlicher abzeichnen, die vorher schon da waren. Viele Menschen, auch im Kunstbetrieb, glauben daran, dass alles wieder gut wird, sobald wir alle durchgeimpft sein werden. Weil aber vorher schon nichts gut war, kann auch danach nichts wieder gut werden. Diese Normalität, die dann irgendwann wiederkommt, ist schlimm.


[...]

Auszug,

Anstelle eine Artiststatements

 erschienen in:

Ästhetik nach Adorno. Positionen zur Gegenwartskunst

Verbrecherverlag,

Robin Becker / David Hagen / Livia von Samson (Hg.),

286 Seiten, Preis: 25,00 €, ISBN: 9783957325242,

2022

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