Hannah Wolf

Verlernen lernen

Documenta 14 in Athen, gemeinsam mit Radek Krolczyk, konkret, 6/2017

Auf der Athener documenta ist ein bemerkenswerter Film des polnischen Künstlers Artur Żmijewski zu sehen. In ihm offenbart sich eines der inneren Hauptwiedersprüche, des von Adam Szymczyk nach Griechenland verlegten ersten Teils der Weltausstellung. „Von Athen lernen!“, heißt es immer wieder in den Texten des Leiters der 14. documenta. Wobei dieses „Lernen“ bedeutet, sich als Westeuropäer, auf das Leben und die Probleme der südeuropäischen Hauptstadt einzulassen. Die Ausstellung wird von Kassel aus gedacht. Stellvertretend steht dies für das globale Gefälle zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden. Die finanzielle Misere Griechenlands wird dabei ebenso betont, wie die vielen Syrerinnen und Syrer, deren Flucht über das Mittelmeer auf Lesbos oder an der griechischen Küste zumindest zunächst ein Ende nimmt.


In „Glimpse“, seiner in diesem Jahr fertiggestellten Filmarbeit, inszeniert Żmijewski Bewohnerinnen und Bewohner verschiedener europäischer Flüchtlingscamps.  Żmijewski hat seinen Film in 16mm produziert, schwarz-weiß und ohne Ton. An Dokumentationen die die Nazis in ihren Vernichtungslagern hergestellt haben, soll er sich dabei orientiert haben. Er zeigt notdürftig untergebrachte Menschen am Berliner Flughafen, in Calais und in Paris; verteilt an sie neue Schuhe, drückt ihnen einen Besen in die Hand, malt ihre schwarzen Gesichter weiß. Dient sich Żmijewski den Geflüchteten an oder führt er sie vor? Es scheint so, als würde beides ganz mechanisch in einander greifen. Eine Konstellation, die sich ohne weiteres auf Adam Szymczyk und die verarmte griechische Hauptstadt anwenden lässt.


Szymczyks Entscheidung, sich nicht ganz auf die Straße verlassen zu wollen, also keine mit Kunst gespickte Tour durch die Abrissromantik dieser Stadt zu machen, ist klug – das Potential dazu hielte Athen selbstverständlich betreit. So verzichtet er darauf, Ausstellungen in Industrieruinen enzurichten, die für drei Monate bespielt und dann schnell wieder vergessen oder aufgewertet verkauft werden könnten. Stattdessen werden bestehende Strukturen der griechischen Kultur gestärkt. Universitäten und Kunsthochschulen werden bespielt, brachliegende Fernsehfrequenzen und Museumsneubauten genutzt und der jungen griechischen Kunstszene zu Sichtbarkeit und Jobs verholfen. Große Teile der Ausstellung finden auf öffentlichen Plätzen, in den Straßen, kleinen Läden und Cafés statt. Als Besucher der documenta wird man in die Stadt hineingezwungen, dazu gedrängt, von Athen zu lernen. Was aber kann man schon von einer Stadt lernen, von der man weiß, dass sie nicht zuletzt aufgrund ihrer großen wirtschaftlichen Krise ausgewählt wurde, Austragungsort dieses Kunstspektakels zu sein? Um den Lernerfolg nicht zu gefährden, sucht man ganz unweigerlich nach ihren Erscheinungen – die auf diese Weise praktisch ausgestellt werden.


Ein großes Problem für Szymczyks Konzeption ist, neben dendass Athen nicht so recht mitspielt. Man läuft durch die Stadt, hat sich vorgenommen heute dieses oder jenes zu sehen und genießt den einen oder anderen Frappé. Und schau da oben, die Akropolis! Das versprochene „Kontinuum ästhetischer, ökonomischer, politischer und sozialer Experimente“  bleibt zunächst aus.  Passend dazu der Ausspruch des Künstlers Ulf Aminde: „Straße ist Straße und keine Konzeptkunst!“. Das Kunstspektakel will und will, die Stadt und ihre Bewohner und Bewohnerinnen haben aber besseres zu tun. Die farbenfrohe Kunstspeisung  „Shamiyaana - Food for Thougt: Thougt for Chance“ des Künstlers  Rasheed Araeen interessiert eigentlich nur die Tauben, der Wärter hockt allein in den bunten Zelten und raucht. Hier wirkt niemand so, als würde er irgendjemanden etwas lehren wollen. Am Eröffnungswochenende soll viel los gewesen sein, internationale Journalisten auf der Suche nach Perfomances und Aktionen, beleidigt weil sie diese nicht auf Anhieb finden konnten. Bereits drei Wochen später finden sich im Programmheft nur noch wenige spezielle Termine.  Die Soundinstallation am zentralen Monastiraki Platz geht im Gelärm unter. Die Straße ist nicht besser als die Kunst, sie ist ihr lediglich überlegen.


Am 1. Mai sind die Ausstellungen der documenta geschlossen. Es ist mehr als an anderen Tagen noch ein Tag der Straße.  Auf dem Omonoia Platz sammeln sich die Gewerkschafter. Die Absperrungen sind nicht für sie gedacht, sie schützen Passanten vor den maroden Treppenstufen. Am Rande wirbt bereits an einem Haus ein Transparent für die Athens Biennale 2018. Sie beginnt ein Jahr vorher bereits mit einem Jahr des Wartens: „Waiting fort he Barbarians“. Einige Straßen weiter ziehen bereits die linksradikalen Blöcke entschlossen und mit roten Fahnen in Richtung Parlament. Gefordert werden hauptsächlich das Ende der Austeritätspolitik und Solidarität mit den Geflüchteten. Im linken Exarchiaviertel sieht man fünf vermummte junge Männer mit Mollotowcocktails in der Hand auf der Flucht vor der Polizei. Müllcontainer versperren die Durchfahrt an einer Kreuzung. Etwas Tränengas liegt in der Luft. Gleich daneben bewirtet ein Kellner unbeeindruckt von dem Geschehen seine Gäste. Eine alte Frau wechselt mit den Autonomen kurz ein paar vertraute Worte. Im Rotlichtviertel, nur wenige Straßen weiter, hört man eine ganze Weile lang jemanden schreien, dann mischen sich andere Stimmen darunter, irgendetwas geht zu Bruch, dann ist nur noch ein Hund zu hören. An einer Straßenecke liegt jemand am Boden. An seiner Seite ist eine blutige Wunde zu sehen. Die Polizisten daneben sind ganz ruhig. Nicht alles hat an diesem Tag mit dem 1. Mai zu tun, und noch weniger mit der documenta. Am 2. Mai öffnen ihre Ausstellungen wieder. Zumindest der Möglichkeit nach bedeuten sie auch Freiheit von der Straße.


Die documenta trägt stets eine riesige politische Agenda vor sich her. Es kommt einem dabei immer so vor, als sei politische Kunst die eigentliche politische Praxis. Etwas Machtloses wird als übermächtig inszeniert. Wahrscheinlich sogar, weil man diese Machtlosigkeit ahnt: das Risiko bleibt überschaubar.  Die Nummer 14 wird von einer ganzen Reihe Publikationen begleitet. Am dicksten (aufgetragen): „Der Reader“ – eine Anthologie von Essays, lebender sowie verstorbener Autoren  - auch Flaubert und Derrida werden bemüht.  Die gut 700 Seiten schließen so: „Indem ich diesem Raum zuhöre, ver-tone ich diesen Raum. Indem ich der Energie all derer, die anwesend sind, zuhöre, ver-tone ich diese Energie. Indem ich mir selbst und euch beim Zuhören zuhöre, mache ich, mit Unterstützung all dessen, was vorhanden ist, hier und jetzt diese Musik. Ich widme diese Musik einer Welt ohne Krieg.“ Die Widmung der experimentellen Komponistin Pauline Oliveros soll also durch diese Ausstellung, nein durch diese „transformative Erfahrung in Echtzeit“ – so Szymczyk in seinem Vorwort.



Nicht nur die Ausstellungspraxis soll erneuert werden, Szymczyk will eine neue Welt, einen neuen Menschen formen: „Die alte Welt basiert auf Begriffen der Zugehörigkeit, der Identitäten und der Verwurzelung. Unsere stets neue Welt wird eine der radikalen Subjektivitäten sein.“  Dieser neue Mensch muss geschützt werden vor „den modernen Kriegsmaschinen des globalen neokolonialen Unternehmens“, schlimmer als die veraltete „biopolitische Macht, welche sich in der Gründung der repressiven Institutionen der europäischen Moderne verkörperte, von der psychiatrischen Anstalt über die Schule, das Bordell und das Gefängnis bis zum Konzentrationslager “.  Die documenta14 will helfen- mit: „exorzistischen Freiheitsübungen“-also: „diskutieren, performen, tanzen, zusammen sein, voneinander lernen“. Das ganze Projekt wird ein partizipatives; es gibt keine Künstler und Künstlerinnen, Kuratoren und Kuratorinnen oder Besucher und Besucherinnen mehr, sondern nur noch Anteilseigner_innen.  Die Parole„Learning from Athens“ ist hier explizit gemeint als „lernen zu vergessen, was wir wissen“ (Szymczyk ). Athen soll dabei helfen, eine „weiße Vorherrschaft beanspruchende, männliche, nationalistische, kolonialistische Existenz- und Denkweise“ zu hinterfragen. Nähme man Szymczyk ernst, müsste man ihn als weißen Mann von seinem Posten verweisen und  in die Handlungsunfähigkeit verbannen.


Paradigmatisch für dieses politische Programm der documenta mögen die folgenden Ausstellungssituationen sein.

Im National Museum of Contemporary Art Athens(EMTS) befindet sich eine der Hauptausstellungen der documenta. Das ehemalige Brauereigebäude sollte 1997 zu Gunsten einer Tiefgarage abgerissen werden Es kam daraufhin zu einer Besetzung und ein Kompromiss ausgehandelt.So finden sich auf dem Gelände heute sowohl jene Tiefgarage als auch das neugegründete Museum. Ab 2000 wurde in den Ruinen Kunst gezeigt. Die Sanierungsarbeiten zogen sich von 2007 bis2013. Während dieser Zeit wurde sogar mit dem Aufbau einer Sammlung begonnen, die zunächst an einem Ausweichort gezeigt wurde. Das EMTS wurde infolge der Austeritätspolitik nie eröffnet. Szymczyk machte dies nun möglich. Die erste documenta Ausgabe der documenta in Kassel 1955 fand ihren Platz genau wie das erste Athener Museum für zeitgenössische Kunst in einer Ruine. Das Kasseler Fridericianums  wurde im zweiten Weltkrieg ausgebombt,  das EMTS verwahrlostre durchdie wirtschaftliche Krise. Es entsteht so der Eindruck, beide Formen des Verfalls seien miteinander verwandt.

Passend, dass die Zusammenstellung der Arbeiten im EMTS eine Entpolitisierung von „Schuld“ und „Opfer“ vornimmt. Gezeigt werden dort etwa  Gemälde von Erna Rosenstein, einer mittlerweile verstorbenen jüdischen Überlebenden der Shoah.  In direkter Nachbarschaft dazu ist die dokumentarische Fotoarbeit „Occupation“ der palästinensischen Künstlerin Ahlam Shibli über das Leben der Palästinenser unter den Siedlern in Hebron zusehen - das hier aber nur al-Khalil heißt. Rosensteins Bilder sind brutal und voller Schmerz. Man sieht surreale Szenen, etwa ein Selbstportrait als Schatten, der sich von einer Gruppe erhängter Menschen abwenden. Shiblis Fotografien geben sich nüchtern. Die Fotografin liefert zu jedem Bild eine ausführliche Erklärung, als würde sie ihnen selbst nicht trauen. Ein paar Räume weiterwird in Cecila Vicuñas Arbeit „Quipu Womb (The Story of the Thread, Athens)“  Opfersein zu einer völlig individuellen aber totalen Angelegenheit.  Die 1973 aus Chile exilierte Künstlerin bezieht sich auf frühste Formen indigener, vergessener Schrifttechniken und lässt rote, filzige, textile Schnüre von der Decke hängen. Laut des Textes im Künstlerkatalog soll hier eine Verbindung „maritimer Mythologien des alten Griechenlands“ und den „Muttergottheiten der Andenregion“ geschaffen werden, das rote Textil ist eine „Nabelschnur menstrueller Symbolik“. Eine Anklage darüber dass der Uterus, in den sich sehnlichst zurückgewünscht wird, verwundet ist und ausblutet.


Im „Neuen Benaki Museum“, Teil des privaten Museumskomplexes mit der Zielsetzung alle Epochen der griechischen Kunst zu zeigen, wird die große Völkerschau inszeniert. Die Malereien des haitianische Vodoo Priester André Pierre und die des kongolesischen Malera  Tshibumba Kanda-Matulu  sind bunt und exotisch, beide erinnern in an Murals, an politisch narrativen Wandbildern.. Sie markieren deutlich, dass aus einer ganz eigenen Perspektive gesprochen wird.<Beide Arbeiten sind historisch, die Künstler mittlerweile verstorben. Die Ansammlung dieser kulturell selbstreferenziellen Arbeiten an einem Ort, verstärkt den Eindruck eines Exotismus. Die einzige Arbeit an diesem Ort, in der nicht direkt über die eigene Kultur gesprochen wird ist Roee Rosens „Live and Die as Eva Braun“. Rosen hat einen abstrusen Parcours aus Text und Bild errichtet, in dem man sich selbst zu Hitlers Geliebten verwandeln soll.  Im Ausstellungstext wird absurderweise behauptet, die Arbeit könne als Kommentar auf einen missbräuchlichen Umgang der Israelis mit dem Holocaust gesehen werden. In diesem Ausstellungskontext wird Hitlers Liebesleben darüber hinaus zu einer Art Israelischer Urgeschichte. Ein Beispiel für Szymczyks Duktus vom Lernen durch Verlernen.


Verlernen:  Teil der documenta ist auch eine Fotoserie des Künstlers Ross Birrell Wir sehen Birrell dabei zu, wie er unter anderem die. gesammelten Werke von Marx und Engels, Erasmus „Lob der Torheit“, Huxleys „Schöne neue Welt“, Sigmund Freuds „Traumdeutung“, Deleuze s und Guattaris „Was ist Philosophie?“, u.a. in verschiedene Gewässer rund um den Globus schmeisst. Titel dieser sogenannten „Intervention“: „Envoy: Angel of Post-History“. Besser lässt sich die im gesamten theoretischen Überbau der Ausstellung aufblitzende Ablehnung der Aufklärung dann auch nicht mehr zusammenfassen.

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