Peaches im Kunstverein Hamburg - Jungle World, 2019/34
„Achtung rutschig! Es könnte Gleitgel auf dem Boden sein!“, ist eine recht erfrischende Warnung vor dem Betreten einer Ausstellung. „Keine Tasche, die groß genug ist, um einen Dildo einzustecken!“, auch eher selten. Also ja: die Peaches Ausstellung „Whose Jizz is this?“ im Hamburger Kunstverein ist erwartbar genital.
Zwanzig Jahre ist es her, dass Peaches mit ‚Fuck the Pain away‘ und Umschnalldildo auf die Bühne trat. BÄMM. Zeitgleich erlebte Sex and the City Charlotte ihr sexuelles Erweckungserlebnis mit ‚Mr. Rabbit‘ dem Vibrator. Der Penis ohne dranhängenden Mann hatte seine popkulturelle Normalisierung erfahren. Die doppelte Zuwendung – subkulturell queer, wie poliert heterosexuell – war dafür unerlässlich. Heute empfiehlt ihn sogar eine Krankenkasse gegen Schlafstörungen. Die sogenannte ‚Taschenmuschi‘ hingegen muss ihr Dasein noch immer im Dunkeln fristen. Das liegt wohl auch daran, wie von ihren Nutzern über sie gesprochen wird: „Representing most of the vibe women have to offer these days. Without the headache.” Der Satz ist Teil einer Produktvorstellung auf Youtube. Ein Typ, sein Kopf ist nicht im Bild, fummelt an einem ‚Mouth and Vagina Mastrebator‘ – einem Silikonschlauch: ein Ende Muschi, das andere Mund – herum und erklärt wie es und vor allem wie viel besser es im Vergleich mit echten Frauen funktioniert. Das Ding selber erscheint kurios bis lächerlich. Das Video hingegen ist eklig, einfach weil man dem Protagonisten absolut zutraut, dass er Frauen gleichermaßen nutzen wollte, wenn er denn könnte.
Der Clip ist Ausgangspunkt der Ausstellung. Es steht am Eingang, auf einem Counter, hinter dem sich dann das ‚dekonstruierte Musical in 14 Szenen‘ aufbaut, wie ein Türsteher, an dem man vorbei muss, um ins Licht zu treten. Licht meint hier: Dunkelheit, Clubscheinwerfer und einen Laser. Peaches braucht immer einen Laser. Statt eine Retrospektive aus Videos und Kostüme der letzten zwanzig Jahren Pop und Bühnenarbeit zu zeigen, sieht man eine eigenständige Show: Installationen, Drucke, Videos. Durch die vierzehn Stationen wird man mithilfe einer Licht- und Soundchoreografie gelenkt. PerformerInnen sind die Doublemasterbators. Passiv sind sie in der ‚Glory Hall‘ aufgereiht und erleuchtet, gebrauchsfertig. In der nächsten Szene wird ‚ein*e Freund*in gefunden‘. Diese ‚Freund*in‘ ist Peaches selbst. Sie hält sich mit einer seltsam künstlich aussehenden Hand einen Doublemastrebator so vor ihr Profil, dass der Silikonmund ihren ersetzt. Das Bild dient auch als Werbeplakat zur Ausstellung und hängt überall in Hamburg. Weitere Stationen erzählen von Missbrauch (ein skelettierter Roboter), dem Versuch in einer Art Gruppentherapie eine Gemeinschaft zu bilden, Safe Spaces, Orgien und Vereinigung in einer ‚neuen Fantasie‘. Es handelt sich also um eine Emanzipationsgeschichte. Die Silikonwürste erkennen sich, finden sich, erhalten eine Stimme, benennen sich in ‚Fleshies‘ um, suchen Lust und werden am Ende ein unentwirrbares Knäul.
An manchen Stellen funktioniert das sehr gut. Etwa wenn eines der Fleshies schwärmerisch melancholisch davon fantasiert nicht mehr alleine zu sein und all die Praktiken, die es bei der menschlichen Nachbarin beobachtet hat, umzusetzen. Oder wenn man sich auf ein Schaumstofflager niederlegen muss, um dem Kaleidoskop an kopulierenden Sextoys zuzuschauen und dabei Beine, Arme und Haare bisher fremder Ausstellungsbesucher und Besucherinnen an und über sich spürt. Ruft dann allerdings einer „Alle Pussies zu mir!“, zeigt sich wie wenig nachhaltig die installierte Utopie ist.
Was da so laut lärmt, bleibt repetitiv und in der ästhetischen Form manchmal fast unbeholfen. Der Springbrunnen aus Fleshies etwa sieht auf den ersten Blick aus wie Pappmache und das, was da lustvolles Vollspritzen sein soll, plätschert ruhig wie in einem Gartencenter vor sich hin. Vielleicht ist die ganze Inszenierung doch einfach Ficken2000, als ‚Shake your Dicks‘ noch auf jedem besseren Dancefloor lief, als laute Parole. Die Parole allerdings ist eben auch immer Peaches Stärke gewesen, sie war nie Fachkraft für Zwischentöne. Eben jene hätte man in Bezug auf die Limitierung die Körper und Lust durch äußere Zuschreibungen erfahren, in den letzten Wochen in den Kunstwerken in Berlin erleben können. Dort wurde eine Retrospektive der 1950 geborenen slowakischen transgender Künstlerin Anna Daučíková gezeigt. Auch hier erfuhren Gegenstände eine Beseelung und wurden zu Trägerinnen von Lust.
Die Videos „Queens Finger“ und „Home Exercise“ aus den späten Neunziger Jahren sind wahnsinnig spröde und unglamourös. Schnittlos wird in Mini-DV einmal ein Glas, in dem ein Finger herumfährt und dann ein kleiner Topfdeckel aus Emaile in ruckelnden Bewegungen unter einem Wasserstrahl abgefilmt. Im Kopf, respektive Höschen entsteht dabei der Wunsch diese Vagina oder eben jener Busen zu sein. Erotik entsteht wohl eher durch das komplizierte und vermittelte.
Die Direktorin des Hamburger Kunstvereins Bettina Steinbrügge schlägt zum Abschluss ihrer Eröffnungsrede vor, sich dem im ‚Kontrasexuellen Manifest‘ abgedruckten Vertrag von Paul B. Preciado (ehemals Beatriz Preciado) zu unterwerfen. „Ich, die hier Unterzeichnende ____________ verzichte aus eigenen Willen auf meine natürliche Positin als Mann _ oder als Frau _ auf jedes (soziale, ökonomische, erbrechtliche) Privileg und auf jede (soziale, ökonomische, reproduktive) Verpflichtung, die sich im Rahmen des naturalisierten heterozentristischen Systems aus meiner sexuellen Position ableitet. […] Ich verstehe mich als Loch und als Arbeiter des Arschlochs. […] Der hier vorliegende Vertrag wird für die Dauer von __ Monaten (erneuerbar) geschlossen. Geschlossen in __________, den _______ in __ Exemplaren. Unterschrift_______________“. Das Manifest will Sex nicht mehr mittels primärer Geschlechtsteile denken, sondern im Sinne der Herrschaftsfreiheit Dildo und Anus zu nutzen. Wenn jeder einen Phallus haben und nutzen könne, verlöre der Penis seine Macht und das Arschloch kennt Geschlechtergrenzen auch nicht, so ließen sich alle auf gleiche Art ficken. Kerstin Stakemeier erkennt das schon 2008 in ihrem Essay „Come. Möglichkeiten eines GEILEN Pornos“ (Testcard #17, Sex) als ziemlichen Humbug: „Die sexuelle Praxis, die hieraus entsteht, realisiert sich zum einen in neoliberalen Sexverträgen, die das Verhältnis zu anderen Personen als hire-and-fire schlichtweg wiederholt und zum anderen die Verbindung der Reflexion, der gesellschaftlichen Imagination zum körperlichen, sexualisierten Menschen vollständig abschneidet, da das Subjekt des kontrasexuellen Manifests kaum mehr ein Subjekt ist, eher eine narzisstische Ansammlung von Überforderung. Damit wird der Härtefall der Pornografie zur gesellschaftlichen Utopie – endlich Objekt!“ Folgerichtig heißt die kommende Bühnenshow auf Kampnagel, die in Kooperation zur Ausstellung laufen wird, dann auch „There‘s only one peach with the hole in the middle“.
Bei Peaches bleibt die Lust eine sozialpädagogisch perverse. Es ist – seien es die Songs, die Videos oder eben das dekonstruierte Musical – eine Show. Eine, die diese Show schon viel früher abgeliefert hat, war Lynda Benglis, die 1974 eine Anzeige im amerikanischen Artforum schaltete. Sie eingeölt, nackt, Sonnenbrille und herausfordernder Blick, zwischen ihren Beinen ein aufgerichteter Dildo herausragend. Die Seiten wurden allerorts aus dem Magazin gerissen und das Direktorium der Zeitung trat zurück. Einen derartigen Skandal kann heute keine Performance von Peaches mehr schaffen. Oder nach Stakemeier: „[…] denn dass Pornos nun in Galerien und Museen gezeigt werden, bedeutet nur ihre Desexualisierung und Ästhetisierung und ist daher in erster Linie eins: unGEIL.“
Ein Spaß ist es dennoch. Vielleicht sogar für die ganze Familie.
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