Hannah Wolf

Arbeit am Produkt

2-Kanal Videoprojektion, (13:47:39), 4K, Stereo Sound, 2023



Karin Hollweg Preis, 2023

Adoleszenz als Modus

- Benjamin Moldenhauer


Es gibt so Phasen im Leben, während der Adoleszenz zumeist, in denen Bilder von Industrie-Ruinen semantisch und atmosphärisch unheimlich aufgeladen werden können. Die kaputte Landschaft repräsentiert dann so etwas wie die intuitiv wahrgenommene Zerstörtheit, aber auch Zerstörungswürdigkeit der meist eher diffus abgelehnten Welt, in der man nun einmal leben muss. Dazu dann schwarzweiße Musik, Joy Division zum Beispiel: „I used to work in a factory and I was really happy because I could daydream all day“ (Ian Curtis).

Hannah Wolfs Videoinstallation „Arbeit am Produkt“ zeigt Ruinen, und was an dieser wie auch den anderen Bildarbeiten von Wolf besonders auffällt, ist, dass die initiale adoleszente Weltablehnung in ihnen noch spürbar enthalten, aber ein paar Schrauben ins Analytische und auch ins Ambivalente weitergedreht worden ist. Ein Splitscreen in einem sehr schönen Bildformat, auf der einen Seite Bilder trister Gebäude, Hotels, Wellness-Tempel („Dreamworld resort & spa“), auf der anderen immer wieder Bilder antiker Ruinen. Zwei Modi der Weltverschrottung, ein vergangener, ein aktuell laufender, aufgenommen im türkischen Ort Side, aber das ist in diesem Zusammenhang nicht so wichtig. In den Bildern der antiken Steinhaufen schwingt noch so etwas wie Erhabenheit mit, die Bilder der noch intakten Gebäude jedoch wirken, als seien letztere bereits rundum ruinös.  

Ruinenbilder ohne Kitsch also, sondern, wie gesagt, ins Analytische gewendet. Das gelingt Hannah Wolf auch mit einem anderen eigentlich abgegriffenen Bildsujet, dem deutschen Reihenhaus und der dieser Architektur innewohnenden stillen Verzweiflung, in der Bilderserie „Häuser BRD“ (2016). In der nämlich springen einem nicht nur die Tristessen entgegen, sondern auch die Träume, Wünsche usw., die die Menschen in die BRD-Häuser gezwängt haben. Auch hier wieder Joy Division im Ohr, obwohl alles im Taghellen aufgenommen wurde: „Down the dark streets / The houses looked the same / Getting darker now / Faces look the same“.




Hier wird allerdings nichts einfach denunziert, auch die kapitalistischen Wunschmaschinen nicht; die Dinge und ihre Entstehungszusammenhänge werden zueinander in Beziehung gesetzt. Die Videoinstallation „Daddy, May I Cum?“ zeigt Bilder der Fassade und der Innereien der Bremer Waterfront, einer schon beeindruckend hässlichen Shopping Mall (der erste Arbeitstitel, „Capitalism Is Like Orgasm Denial“ war da mindestens ebenso schlüssig). In die Räume fallen in diesen Bildern Sonnenstrahlen in einer Weise ein, dass sie, die Räume, schöner wirken, als sie es eigentlich sind. Die Ambivalenz, in diesem Fall: Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus.

Zurück zu „Arbeit am Produkt“. Die Verhältnisse werden nicht beklagt, sondern von der Kamera aufgezeichnet und von Texten assoziativ beschrieben: „Produkte tragen Namen“, „Arbeiter tragen keine Namen.“ Die Frage, wieso in Gottes Namen Gebäude, die jemand zum Beispiel „Stella Elite“ genannt hat, hässlicher wirken als der Architekturschrott von vor 2.000 Jahren, wird ergänzt durch die Erinnerung daran, dass die Versprechen auf ein gutes, luxuriöses Leben ohne Ausbeutung nicht zu haben sind. Und trotzdem nehmen die Bilder diese Versprechen ernst: „Im Traum jedoch wird die ganze Welt plötzlich neu.“ Und doch sieht die materielle, architektonische Wirklichkeit dann in erster Linie unheimlich abgegrabbelt aus.

In den Bildern Hannah Wolfs ist der Impuls der Weltablehnung erhalten geblieben, aber aufgehoben in einem Blick auf die Welt, der Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten ins Zentrum rückt. Die strahlende Intelligenz des „besten Lebensabschnitts für Intellektuelle“ (Dietmar Dath): „Wer Geld verdienen muß, kriegt Angst und verblödet“, schreibt Dath. „Kinder dagegen haben zwar noch keine Angst, können aber auch noch nicht denken. Fünf kurze Jahre zwischen dem 13. und dem 18. Lebensjahr – mehr Zeit läßt uns die über Lohnarbeit vergesellschaftete Zivilisation nicht, den Verstand auszuprobieren und zu entwickeln“.

Die Arbeit zeigt einerseits antike Ruinen und andererseits zeitgenössische Trümmer. Aufgenommen in der Off-season im türkischen All Inkl. Urlaubsort Side (nahe Antalya). Zentraler Gedanke ist eine Aktualisierung der marxschen Geschichtstheorie. Geschichte ereignet sich hier nicht einmal als Tragödie und dann als Farce, sondern einmal als Idee und einmal als Produkt.

GAK Bremen, Happy Hours - Meisterschüler*innenausstellung, 2023                                                              Abbildung: Franziska van der Driesch

GAK Bremen, Happy Hours - Meisterschüler*innenausstellung, 2023

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